Philosophie der Hundefee
We are brothers and sisters under the skin, with all the other animals, which provides us with a special responsibility for how we treat them in this world of ours.
(Jaak Panksepp)
Im klassischen Hundetraining geht es viel um Verhalten: Verhalten, das uns stört, Verhalten, das unangemessen ist (oder uns so erscheint), Verhalten, das nicht in unser Leben passt, soll abgestellt oder verändert werden. Dafür wird dem Hund ein anderes Verhalten beigebracht, das uns besser gefällt. Doch selten stellen wir uns die Frage, welchen Wert dieses neue Verhalten für den Hund eigentlich hat – wenn wir mit hoher (externer) Belohnung arbeiten müssen, dann bedeutet dies, dass es keinen internen Wert für den Hund hat, nicht seiner inneren Wahrheit entspricht.
Für den Hund aber ist das Verhalten, das er gerade zeigt, genau das „richtige“ Verhalten, nämlich das, was seinem internen Zustand entspricht, was sein Gehirn ihm diktiert (siehe unten bei Leitlinien). Doch wenn wir das Verhalten eines Tieres manipulieren, ohne uns um seinen inneren Zustand zu kümmern, dann kratzen wir quasi nur an der Oberfläche und werden dem Individuum nicht gerecht, denn Emotionen bewirken Verhalten.
Deshalb sollten wir nach Wegen suchen, erstens vom beobachtbaren Verhalten auf die tiefer liegende Ursache, den Kern, zu schließen, und zweitens Wege finden, wie wir auf diese Gründe bzw. Emotionen eingehen können und den Hund unterstützen können, zu einer für ihn (und für uns) positiven Lösung zu finden.
In meinem Training gibt es daher keine Protokolle oder klare Handlungsanweisungen nach dem Schema „wenn der Hund dies macht, dann mache jenes“. Das konkrete Vorgehen ist von der jeweiligen Situation und natürlich vom jeweiligen Hund abhängig und kann sich demzufolge von Hund zu Hund unterscheiden – der Hund ist derjenige, der den Prozess leitet, und wir helfen dem Hund dabei, seinen Weg zu finden.
Den Hund beobachten (ihm damit zuhören), seine Emotionen und Bedürfnisse wahrnehmen, ihm Raum und Zeit geben, Eindrücke zu sammeln und zu verarbeiten sowie seine Bedürfnisse auszudrücken, und ihm dann die emotionale und soziale Unterstützung geben, die er für sein inneres Gleichgewicht benötigt – das sind die Elemente, die meinen Ansatz prägen.
Auf dieser Seite möchte ich die Hintergründe für meine Art des Umgangs mit Hunden darstellen – was mir wichtig ist, wie ich dazu gekommen bin, was ich daraus ableite. Dazu gehe ich kurz auf die drei Eckpfeiler Emotionen–Bedürfnisse–Beziehung ein und dann stelle ich einige Leitlinien vor, an denen ich mich bei meiner Herangehensweise orientiere.
Emotionen
Wir wissen heute so viel mehr über Emotionen von Tieren und natürlich von unseren Hunden als noch vor wenigen Jahren, und langsam findet dieses Wissen Einzug in das Hundetraining bzw. in die Art, wie wir mit unseren Hunden umgehen. Die für mich wichtigste Erkenntnis ist, dass das emotionale Gehirn bei allen Säugetieren mehr oder weniger gleich ist – wir können also viele unserer emotionalen Erfahrungen auf den Hund übertragen (siehe unten bei Leitlinien). Und wir wissen, dass sich Emotionen über Verhalten ausdrücken, deshalb ist es für mich eine logische Konsequenz, zuerst auf die Emotion einzugehen – das Verhalten eines Lebewesens ändert sich mit seinen Emotionen.
Genau wie bei uns Menschen ist die psychische und emotionale Gesundheit des Hundes ebenso wichtig wie die körperliche Gesundheit – körperliches und emotionales Wohlbefinden gehen Hand in Hand. Schon Charles Darwin erkannte, dass Hunde ein reiches Gefühlsleben führen: er war sicher, dass alle Tiere Freude und Schmerz, Glück und Traurigkeit und natürlich Angst empfinden.
Wir Menschen neigen dazu, die Welt eher von einer kognitiven Perspektive zu betrachten – und so gehen wir in der Regel auch an das Training mit unseren Hunden heran. Hunde handeln jedoch weniger rational, sondern mehr von der emotionalen Ebene aus – und auf dieser Ebene können wir den Hunden so begegnen, wie es für sie annehmbar ist.
Emotionen sind niemals statisch, sie fluktuieren innerhalb einer Situation – deshalb ist es für uns so wichtig, die grundlegenden Emotionen unserer Hunde zu kennen und zu erkennen, damit wir die Hunde unterstützen und ihnen helfen können, mit schwierigen Gegebenheiten umzugehen und zu einem emotionalen Gleichgewicht zu finden.
Bedürfnisse
Wie jedes Lebewesen haben Hunde bestimmte Bedürfnisse, an denen sich ihr Handeln ausrichtet – die biologischen Bedürfnisse wie Wasser, Essen, körperliche Unversehrtheit, Schlaf, Obdach kennen und befriedigen wir in der Regel, doch wie sieht es mit den emotionalen und sozialen Bedürfnissen wie Sicherheit, Geborgenheit und Bindung aus? Wir wissen aus wissenschaftlichen Studien, dass sich die emotionalen, mentalen und sozialen Bedürfnisse von Hunden nicht von unseren unterscheiden und dass es sich negativ auf das Wohlbefinden und das Verhalten auswirken kann, wenn diese Bedürfnisse nicht beachtet werden.
Doch häufig müssen Hunde in unserer Welt „funktionieren“ und oft bleibt kein Platz dafür, auf alle Bedürfnisse einzugehen – und wie bei uns Menschen, wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, kann sich dies beim Hund in Form von Frustration oder auch innerem Rückzug äußern. Natürlich können wir nicht alle Bedürfnisse immer und sofort erfüllen, doch da unsere Hunde zum großen Teil vollständig auf uns angewiesen sind und wenige eigene Entscheidungen treffen können, liegt es in unserer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass auch ihre emotionalen und sozialen Bedürfnisse so weit wie möglich erfüllt werden. Deshalb halte ich es für wichtig, dass die Bedürfnisse des Hundes wahrgenommen werden, dass dem Hund zugehört wird und auf seine Bedürfnisse eingegangen wird.
Beziehung
Wie ich meinen Hund wahrnehme, bestimmt, welche Art von Beziehung wir haben: Ist er das Raubtier, das ich rund um die Uhr kontrollieren muss, damit es in unserer Welt überleben kann? Oder das Haustier, das uns unterlegen ist, das weder die Instinkte seiner Vorfahren noch unsere kognitiven Fähigkeiten hat? Oder erlebe ich den Hund als ein empfindungsfähiges Mitgeschöpf, das meine Hilfe braucht, um sich in dieser Welt zurechtzufinden und mit Herausforderungen umzugehen (oder auch, um eventuelle Traumata zu verarbeiten), das aber ein reiches Gefühlsleben hat, aus dem heraus es handelt und mit der Welt in Kontakt tritt? Dann ist meine Beziehung zu meinem Hund eine ganz andere: Ich kann mich mit ihm auf dieser emotionalen Ebene verbinden und so eine Beziehung aufbauen, die ganz andere Qualitäten hat.
Und unsere Hunde wiederum wollen und brauchen emotionale und soziale Beziehungen, um ein erfülltes Leben zu führen – sie sind wie wir soziale Lebewesen, das heißt, sie haben ein angeborenes Bedürfnis nach sozialer Nähe, nach Beziehung, nach Bindung.
Und wenn sie diese nicht oder nicht ausreichend bekommen, können sie möglicherweise kein „gesundes“ Verhalten zeigen – wie bei Kindern, die vernachlässigt werden, entwickeln sie Verhaltensweisen, die von der Gesellschaft als störend empfunden werden. Für Hunde ist es (genau wie für Kinder) für ihr emotionales Wohlbefinden wichtig, dass sie sich gehört und anerkannt fühlen.
Eine vertrauensvolle, sichere Bindung zu unseren Hunden aufzubauen, ist daher meiner Meinung nach der erste Schritt im Zusammenleben von Mensch und Hund.
Leitlinien
Das Verhalten, dass der Hund gerade zeigt, ist in diesem Moment das richtige Verhalten für den Hund
Im normalen Umgang mit unserem Hund gibt es z. B. Auslöser, auf die der Hund mit irgendeinem Verhalten reagiert – und häufig gefällt uns diese Reaktion, d. h. dieses Verhalten nicht. Vielleicht empfinden wir es als „unangemessen“, „störend“ oder sehen es einfach nicht als in unsere moderne Welt passend an. Beispielsweise bezeichnen wir gerne ein Verhalten als „unangemessen“, wenn ein in unseren Augen kleiner Auslöser den Hund dazu bringt, völlig aus der Haut zu fahren. Aber ob uns das Verhalten gefällt oder nicht – es ist für den Hund das absolut richtige Verhalten, was er in diesem Moment zeigt – es entspricht genau dem, was sein Gehirn ihm vorgibt. Im Prinzip geht es bei allen Verhaltensweisen des Hundes immer um das Überleben – teilweise physisch, aber teilweise auch emotional, psychisch/mental und sozial.
Was bedeutet das für den Umgang mit unseren Hunden?
Das Verhalten des Hunds sollte nicht unterdrückt werden – es wird dem Hund ja quasi vom Gehirn „diktiert“, sodass der Hund im Moment nicht anders handeln kann. In der Regel sind dies beim Hund keine komplexen kognitiven Überlegungen, sondern Emotionen, die im limbischen System ihren Ursprung haben. Dies ist der wichtige Punkt: Emotionen bewirken Verhalten! Wenn wir den Hund ganzheitlich ernst nehmen wollen, das heißt seine Emotionen wahrnehmen und diese würdigen, dann dürfen wir uns nicht auf das Verhalten konzentrieren, sondern auf die zugrunde liegenden Emotionen, die das Verhalten triggern.
Deshalb konzentriere ich mich zuerst auf die Emotionen. Zwei Modelle aus der Affektiven Neurowissenschaft helfen dabei: das erste ist das Konzept der 7 Primären Emotionssysteme (7PES), die von Dr. Jaak Panksepp entdeckt wurden, das zweite ist das Konzept der Kontrollebenen. Mithilfe der 7PES können wir die primäre Emotion identifizieren, die der Hund höchstwahrscheinlich gerade erlebt, und mithilfe der Kontrollebenen begegnen wir dem Hund auf eben der Ebene, auf der sich der Hund befindet. Auf diese Weise können wir den Hund unterstützen, die Situation zu bewältigen und wieder einen positiven emotionalen Zustand zu erreichen: einen Zustand, in dem er sich sicher, verstanden und verbunden fühlt, sodass er aus diesem Zustand heraus „gute“ Entscheidungen treffen kann.
Der Hund besitzt bereits die Lösung, um die Situation zu meistern
Schaut man sich Straßenhunde an, die seit ihrer Geburt auf der Straße leben, meistens in mehr oder weniger festen Gruppen, meistens ohne direkten „Besitzer“ (obwohl sie durchaus Bezugspersonen haben können, wenn sie irgendwo fest gefüttert werden), so stellt man fest: Diesen Hunden ist nichts beigebracht worden, sie sind niemals auf irgendein Verhalten „trainiert“ worden – und kommen doch sehr gut in der Welt, in die sie hineingeboren wurden, zurecht. Sie wissen, wie sie Gefahren ausweichen, sie wissen, wie und wo sie Fressen finden, sie wissen, wo sie Unterschlupf finden, und sie können sich ihre Energie einteilen – sie besitzen die Fähigkeit der Selbstregulation – etwas, das wir unseren Hunden erst mühsam beibringen müssen . . . oder vielleicht doch nicht? Auch unsere Hunde tragen genau wie die Straßenhunde diese Fähigkeit in sich, aber dadurch, dass unsere Hunde so gut wie keine Kontrolle über die für sich wichtigsten Dinge haben – wo sie sich aufhalten, mit wem sie zusammen sind, was und wann sie fressen und trinken usw. –, ist diese Fähigkeit quasi „verschüttet“. Doch auch wenn es nicht immer offensichtlich ist: sie ist dennoch noch wie bei den Straßenhunden vorhanden, da sie angeboren ist, so wie bei allen anderen wild lebenden Tieren.
Was bedeutet das für den Umgang mit unseren Hunden?
Wie bereits gesagt, bewirkt die Unterdrückung eines Verhaltens nicht nur den natürlichen Ausdruck eines emotionalen Zustands, sondern versperrt auch die Sicht darauf, was für den Hund die richtige Lösung ist. Wenn wir davon ausgehen können, dass der Hund die Lösung kennt, dann sollten wir alles in unserer Macht stehende dafür tun, um den Hund darin zu unterstützen, uns diese Lösung zu zeigen. (Natürlich kann es vorkommen, dass das Ausleben dieser Lösung für die jeweilige Situation nicht machbar ist. Doch wenn wir wissen, wie die Lösung des Hundes aussieht, können wir ihm helfen, eine Handlung zu finden, die er als Ersatzhandlung akzeptieren kann.) Wir müssen die Hunde nicht belehren, die Hunde lehren uns, was ihre innere Wahrheit ist!
Dieses sichere Wissen, dass der Hund die Lösung in sich trägt, dass ihm (intern) alles zur Verfügung steht, was er für das Bewältigen der jeweiligen Situation benötigt, hilft uns, einen Schritt zurückzutreten, die Hunde zu beobachten und ihnen die nötige Zeit und den nötigen Raum zu geben, um zu ihrer Lösung zu finden. Wir müssen dem Hund kein Verhalten beibringen, damit er Erfolg hat, sondern können uns selbst bei traumatisierten und/oder ängstlichen Hunden auf die Selbstheilungskräfte des Gehirns verlassen: das Gehirn ist dazu da, dem Organismus zu helfen und sein Überleben zu sichern – das Gehirn sorgt dafür, dass sich der Organismus in einem Zustand der Homöostase befindet bzw. diese wiedererlangt. Doch um zu wissen, was der Hund an Hilfe von uns benötigt, müssen wir unsere Hunde sehr genau beobachten und auch auf die kleinen Dinge achten, die der Hund zeigt. Und wir müssen selbst empathisch sein, uns auf den Hund und seine Emotionen quasi einstimmen – dies ist kein mechanischer Vorgang, der über Protokolle vermittelt werden kann.
Der Hund muss sich (mit uns) sicher fühlen, um sozial handeln zu können
Wie bei uns Menschen gibt es auch bei Hunden eine sogenannte Bedürfnispyramide, bei der die jeweils nächsten Ebene auf der darunter liegenden aufbaut, das heißt, erst wenn die Bedürfnisse der unteren Ebene erfüllt sind, wird auf die Bedürfnisse der nächsten Ebene umgeschaltet. Für Hunde hat Linda Michaels eine Hierarchie der Bedürfnisse definiert (2): Auf der untersten Ebene gibt es die biologischen Bedürfnisse wie Essen, Wasser, Schlaf, dann folgen die emotionalen Bedürfnisse wie Sicherheit, Konsistenz und Vertrauen, danach kommen die sozialen Bedürfnisse, also die Verbindung mit Menschen und anderen Hunden.
Was bedeutet das für den Umgang mit unseren Hunden?
Da wir (als Menschen) die Evolution des Hundes so beeinflusst haben, dass der Hund nun (mehr oder weniger) in dieser modernen Welt von uns abhängig ist, sind wir auch dafür verantwortlich, dass sich der Hund in dieser Welt und mit uns sicher fühlt. Mittlerweile wissen wir auch aus der Hirnforschung, dass sozialer Schmerz im Gehirn dieselben Mechanismen auslöst und an denselben Stellen verortet ist wie physischer Schmerz. Marc Bekoff fasst dies folgendermaßen zusammen:
Dogs, like us, need to feel safe, at peace and loved. They depend on us to these needs and we are obligated to do so.
(Hunde brauchen wie wir das Gefühl von Sicherheit, Frieden und Liebe. Sie sind auf uns angewiesen, um diese Bedürfnisse zu befriedigen, und wir sind dazu verpflichtet, dies zu tun.)
Die Bedürfnisse des Hundes und auch die Hierarchie der Bedürfnisse zu kennen, ermöglicht es uns, den Hunden dabei zu helfen, in einen Zustand zu kommen, in dem sie offen und bereit für soziale Interaktion sind. Wie wichtig soziale Interaktionen sind, zeigt auch folgendes Experiment: Man hat Welpen von ihrem Mensch durch ein (leicht) elektrisch geladenes Gitter getrennt – alle Welpen haben den Weg über das Gitter gewählt, um wieder mit ihrem Menschen vereint zu sein.
Eine wichtige Komponente, die erfüllt sein muss, damit sich Hunde sozial verhalten können, ist das Gefühl der Sicherheit, das von uns vermittelt wird, d. h., sie müssen eine sichere Bindung (i.S.v. Aintsworth/Bowlby) zu uns aufgebaut haben. Eine Grundvoraussetzung für eine sichere Bindung (bei Menschen sowie bei Hunden) ist die emotionale Verfügbarkeit des Bindungspartners. Wenn der Hund unsere Hilfe und/oder Unterstützung braucht, dürfen wir nicht mit vorgefertigten Handlungsanweisen den Hund manipulieren, sondern müssen uns emotional auf den Hund einlassen. Hier hilft die Theorie der drei Kontrollebenen, sodass wir den Hunden auf der emotionalen Ebene begegnen können und sie sich sicher und sozial auf ihre Weise fühlen können.
Jedes soziale Lebewesen hat einen angeborenes Bedürfnis nach Verbindung
Für alle sozial lebende Tiere ist die Verbindung zu und die Interaktionen mit den Mitgliedern ihrer sozialen Gruppe ein fundamentales Bedürfnis, vergleichbar mit dem Bedürfnis nach Nahrung oder Schlaf. In Tierversuchen wurde immer wieder gezeigt, dass soziale Isolation und Deprivation schwere negative Auswirkung sowohl auf das Gehirn als auch auf das Verhalten hat – mehr sogar: die Versuche von Harlow (3) haben ergeben, dass Affenbabys die Nähe zu der künstlichen Ersatzmutter suchen, die Wärme ausstrahlt, im Gegensatz zu der, von der die Nahrung kommt. Man geht davon aus, dass wenn Menschen das Gefühl haben, nicht ausreichend mit anderen verbunden zu sein, dies zu tief gehenden und anhaltenden negativen Folgen für die physische und mentale Gesundheit führen kann. Wie schon gesagt, fühlen wir sozialen Schmerz (z. B. den Schmerz der sozialen Zurückweisung) genau so wie physischen Schmerz – im Hirnscan sind physischer und sozialer Schmerz nicht unterscheidbar, sie aktivieren dieselben Schaltkreise im Gehirn (4). Die meisten Neurowissenschaftler glauben, dass wir ein eigenes System für soziales Denken haben, das das sich deutlich von dem System unterscheidet, das für nicht soziales Denken verwendet wird.
Was bedeutet das für den Umgang mit unseren Hunden?
Hunde sind, wie wir Menschen, hoch soziale Lebewesen, für die Verbindung zu ihrer sozialen Gruppe überlebenswichtig ist. Wir sind dafür verantwortlich unseren Hunden diese Verbindung zu geben, denn wir entnehmen die Hunde ihrer biologischen Familie und bilden mit ihnen eine neue Inter-Spezies-Gruppe, außerdem bestimmen wir, mit wem unsere Hunde soziale Kontakte pflegen dürfen. Der „normale“ Hunde-Alltag in unseren Haushalten sieht aber leider so aus, dass Hunde nur dann soziale Zuwendung bekommen, wenn es in unseren Alltag passt (das Bedürfnis nach Kontakt wird sogar mit dem Ausdruck „aufmerksamkeitsheischendes Verhalten“ als unerwünschtes Verhalten angesehen und „abtrainiert“, z. B. durch Ignorieren (= Zurückweisung = sozialer Schmerz). Wie beim Menschen führt solch eine soziale Deprivation und/oder lang andauernder/oft erlebter sozialer Schmerz auch beim Hund zu mentalen und physischen Problemen. Die Neurowissenschaft liefert uns außerdem die neurologischen Grundlagen: alle sozialen Lebewesen sind abhängig von endogenen Opioiden, die durch sozialen Kontakt ausgeschüttet werden – ohne ein ausreichendes Maß an Opioiden werden Gefühle von sozialem und physischem Schmerz erlebt.
Das Bedürfnis unserer Hunde nach Verbindung mit uns als ihre primären Bindungspartner anzuerkennen und zu erfüllen, ist deshalb quasi die wichtigste Aufgabe im Zusammenleben mit unseren Hunden. Die Erfüllung dieses Bedürfnisses und der Aufbau einer sicheren Bindung mit unseren Hunden ist somit das Schlüsselkonzept für das Zusammenleben mit unseren Hunden. Es ist auch der Grundbaustein in der Verhaltensberatung: viele Verhaltensweisen unserer Hunde, die wir als „Probleme“ erleben, lassen sich allein dadurch lösen, dass wir das Bedürfnis nach Verbindung befriedigen. Indem wir für unsere Hunde emotional verfügbar sind und eine vertrauenswürdige Basis für sie sind, erfüllen wir ihren (überlebenswichtigen) Drang nach sozialer und emotionaler Verbindung. Ein Aspekt davon ist, dass wir uns dafür interessieren, was die Hunde interessiert, und dass wir mit ihnen in der Art interagieren, wie es den Hunden entspricht (anstatt ihnen unsere Idee von Aktivitäten aufzuzwingen).
Das emotionale Gehirn ist bei allen Säugetieren gleich
Dr. Jaak Panksepp hat in seiner Forschungsarbeit demonstriert, dass sich das emotionale Gehirn von allen Säugetieren gleicht. Panksepp war nicht nur in der Lage, die Emotionssysteme zu identifizieren und voneinander abzugrenzen, sondern konnte auch die neuronalen Schaltkreise lokalisieren, die den 7 PES zugrunde liegen. Daher war er in der Lage, diese Schaltkreise in den Gehirnen unterschiedlicher Säugetierarten miteinander zu vergleichen. Zusammen mit der Tatsache, dass die biochemischen Botenstoffe, die menschliche Emotionen beeinflussen (Oxytocin, Epinephrin, Serotonin und Dopamin), auch in anderen Tieren gefunden wurden, kommt er zu der Schlussfolgerung:
The evidence is now inescapable: at the basic emotional level, all mammals are remarkably similar.
(Der Beweis ist nun unumstößlich: Auf der grundlegenden emotionalen Ebene sind sich alle Säugetiere bemerkenswert ähnlich.(5))
Was bedeutet das für den Umgang mit unseren Hunden?
Wir können direkt von unseren emotionalen (primären) Erfahrungen auf die unserer Hunde (oder anderer Säugetiere) schließen – es ist also ein echtes Einfühlen in die Gefühlswelt einer anderen Spezies möglich! Vieles von dem, was früher noch geringschätzig als Anthropomorphismus abgetan wurde, hat heute dank vieler neurowissentschaftlicher Erkenntnisse Gültigkeit bekommen.
Dieses Wissen ermöglicht es uns, alle Erkenntnisse aus den Bereichen der Neurowissenschaften, Psychologie und angrenzenden Wissenschaften, die sich auf das emotionale Gehirn von Menschen und deren Auswirkungen auf das Verhalten beziehen, mehr oder weniger direkt auf unsere Hunde anzuwenden: Wir können damit ihre Gefühlswelt und ihr Verhalten viel besser verstehen und darauf so reagieren, dass wir den Hunden tatsächlich helfen, Erlebtes zu verarbeiten und Neues zu lernen.
Literatur und Referenzen
(1) Panksepp, Jaak, „The Science of Emotions“, Ted Talk 2013, https://www.youtube.com/watch?v=65e2qScV_K8.
(Wir sind Brüder und Schwestern, unter der Haut, mit allen anderen Tieren, Das gibt uns eine besondere Verantwortung dafür, wie wir sie in dieser Welt behandeln.)
(2) https://www.dogpsychologistoncall.com/hierarchy-of-dog-needs-tm/.
(3) H. F. Harlow, „The nature of love“. In: American Psychologist, 13(12), 673.
(4) Orben et al., „The effects of social deprivation on adolescent develepment and mental health“. In: The Lancet. Child & Adolescent Health, 2020, 4(8), S. 634–640.
(5) Panksepp, Jaak. „The Chemistry of Caring“. In: M. Bekoff (Hrsg.), The Smile of a Dolphin: Remarkable Accounts of Animal Emotions. New York, Discovery Books, 2000.
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